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Anspruch eines Arbeitnehmers auf Einsicht in Videoaufzeichnungen des Arbeitgebers

Die Video- und Tonüberwachung am Arbeitsplatz ist schon zur Gewohnheit geworden. Aber muss der Arbeitnehmer das hinnehmen?




1. Rechtsgrundlagen
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• Art. 15 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO): gewährt jeder betroffenen Person ein Auskunftsrecht über die sie betreffenden personenbezogenen Daten sowie das Recht auf Erhalt einer Kopie. Dieses Recht erfasst auch Videoaufzeichnungen, wenn der Arbeitnehmer darauf identifizierbar ist. 1
• § 34 BDSG (national ergänzend).
• Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG) schützt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung; seine Verletzung kann Entschädigungsansprüche auslösen. 23
2. Umfang des Auskunftsanspruchs
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• Der Arbeitnehmer kann verlangen
– Auskunft, ob und zu welchen Zwecken Videoaufnahmen verarbeitet werden,
– alle verfügbaren Meta-Informationen (Speicherdauer, Empfänger u. a.),
– eine verständliche Kopie der Sequenzen, auf denen er erkennbar ist (Art. 15 Abs. 3 S. 1 DSGVO; LAG Baden-Württemberg, 20.12.2018 – 17 Sa 11/18). 1
3. Grenzen und berechtigte Interessen Dritter
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• Das Recht auf Kopie kann eingeschränkt werden, wenn Rechte anderer Personen unverhältnismäßig beeinträchtigt würden (Art. 15 Abs. 4 DSGVO). Praktisch können Unkenntlichmachungen (Blur) oder Standbilder genügen.
• Bei großflächiger Überwachung oder wenn Aufnahmen Kollegen, Kunden o. ä. zeigen, ist eine Abwägung erforderlich.
4. Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung selbst
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• Offene Überwachung in öffentlich zugänglichen Räumen ist nur zulässig, wenn die Zwecke des § 6b BDSG (a. F.) bzw. Art. 6 Abs. 1 f DSGVO gewahrt und Löschfristen eingehalten werden; monatelange Speicherung und spätere Auswertung sind unzulässig. 4
• Heimliche Überwachung ist nur ausnahmsweise zulässig (Aufdeckung von Straftaten, konkrete Verdachtsmomente, mildere Mittel ausgeschöpft). 56
• Rechtswidrige, heimliche Überwachung verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht und kann Entschädigungen auslösen (z. B. 1.000 € im Fall LAG Hamm, 11.07.2013 – 11 Sa 312/13). 23
5. Verfahrensschritte für Arbeitnehmer
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6. Schriftliche Anfrage an den Arbeitgeber (Art. 15 Abs. 1 DSGVO), unter Angabe:
– Datum/Ort der Aufzeichnung, falls bekannt;
– Bitte um Kopie gem. Art. 15 Abs. 3 DSGVO.
7. Arbeitgeber muss binnen eines Monats antworten; Verlängerung max. zwei weitere Monate (Art. 12 DSGVO).
8. Unterbleibt eine vollständige Auskunft:
– Beschwerde bei der zuständigen Datenschutzaufsichtsbehörde,
– Klage vor dem Arbeitsgericht (vgl. LAG Baden-Württemberg – 17 Sa 11/18).
9. Empfehlungen für Arbeitgeber
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• Vorhalten eines internen Prozesses zur Identifikation, Sichtung und ggf. Anonymisierung der Aufnahmen.
• Dokumentation der Interessenabwägung bei der Überwachung; fristgerechte Löschung (meist 48–72 Stunden, wenn kein Auswertungsanlass).
• Betriebsrat umfassend beteiligen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG).
10. Folgen bei Verstoß
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• Ansprüche auf immateriellen Schadenersatz (Art. 82 DSGVO, § 823 BGB),23
• Mögliche Beweisverwertungsverbote in arbeitsgerichtlichen Verfahren,56
• Bußgelder der Aufsichtsbehörden bis zu 20 Mio. € bzw. 4 % des weltweiten Jahresumsatzes (Art. 83 DSGVO).
Rechercheergebnis (Otto Schmidt) ——————————————————————
Ein Arbeitnehmer hat grundsätzlich einen Anspruch auf Einsicht in Videoaufzeichnungen, die ihn betreffen, wenn diese personenbezogene Daten enthalten und der Arbeitgeber diese verarbeitet. Dies ergibt sich aus Art. 15 DSGVO, der den Auskunftsanspruch regelt 1. Der Anspruch umfasst sowohl die Auskunft über die verarbeiteten Daten als auch die Herausgabe einer Kopie dieser Daten 1.
Die Videoüberwachung am Arbeitsplatz unterliegt strengen rechtlichen Anforderungen. Eine dauerhafte Beobachtung des Verhaltens der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz und die Auswertung der Videoaufzeichnungen als Beweismittel sind nicht zulässig, wenn die gesetzliche Pflicht zur unverzüglichen Löschung der Aufzeichnungen nicht eingehalten wird 4. Die Videoaufzeichnungen müssen unverzüglich überprüft und bei bestehendem Anlass zügig ausgewertet werden 4.
Eine heimliche Videoüberwachung ist nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, etwa zur Aufdeckung von Straftaten, wenn konkrete Verdachtsmomente vorliegen und weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung ausgeschöpft sind 5. Die Videoüberwachung darf nicht unverhältnismäßig sein und muss durch konkrete Tatsachen begründet werden 56.
Die rechtswidrige heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers stellt einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar und kann zu einem Anspruch auf Entschädigung führen 23. Die Intensität des Eingriffs wird durch die Heimlichkeit der Überwachung noch weiter erhöht 2.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Auskunft und Einsicht in die Videoaufzeichnungen hat, sofern diese personenbezogene Daten enthalten und die Verarbeitung dieser Daten durch den Arbeitgeber erfolgt 1. Die Videoüberwachung muss den gesetzlichen Anforderungen entsprechen und darf nicht unverhältnismäßig sein 456. Bei rechtswidriger Überwachung kann der Arbeitnehmer eine Entschädigung für die Verletzung seines Persönlichkeitsrechts beanspruchen 23.
Quellen
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4 LAG Hamm, 20.12.2017 – 2 Sa 192/17
1 LAG Baden-Württemberg, 20.12.2018 – 17 Sa 11/18
5 LAG Hamm, 12.06.2017 – 11 Sa 858/16
6 LAG Hamm, 11.07.2013 – 11 Sa 312/13 (Rechtsausführungen)
2 LAG Hamm, 11.07.2013 – 11 Sa 312/13 (Entschädigungsanspruch)
3 LAG Hamm, 11.07.2013 – 11 Sa 312/13 (Entscheidungsgründe)
Literaturverzeichnis
1. LAG HAMM vom 20.12.2017 - 2 SA 192/17
2. LAG BADEN-WÜRTTEMBERG vom 20.12.2018 - 17 SA 11/18
3. LAG HAMM vom 12.06.2017 - 11 SA 858/16
4. LAG HAMM vom 11.07.2013 - 11 SA 312/13
5. LAG HAMM vom 11.07.2013 - 11 SA 312/13
6. LAG HAMM vom 11.07.2013 - 11 SA 312/13

 
 
 
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